Erziehung zu sozialer Kompetenz
Bereits Kinder sind und dies von Geburt an auf liebevolle Zuwendung, Bindung und tragende Beziehungen hin orientiert. Versuche, Kinder ohne emotionale Zuwendung, sondern ausschließlich »rational« oder »vernünftig « zu erziehen, haben schwere seelische Beeinträchtigungen zur Folge.18 Die Notwendigkeit der Erziehung ergibt sich nicht etwa daraus, dass man Kindern die innere Orientierung auf Kooperation und gelingende Beziehungen erst einpflanzen müsste, sondern daraus, dass Kinder die Regeln, die soziales Zusammenleben möglich und erfreulich machen, nicht beherrschen. Um ihnen den Suchprozess zu ersparen, den die Menschheit benötigte, um diese Regeln herauszufinden, bedarf es der Erziehung. Hinzu kommt, dass die auf Kooperation ausgerichteten neurobiologischen Systeme des Kindes, wie schon erwähnt, nach dem biologischen Gesetz »Use it or lose it« 19 eingeübt oder eingespielt werden müssen. Dies heißt nicht nur, Kindern im Rahmen verbindlicher Beziehungen Zuwendung zu schenken, sondern bedeutet zugleich auch, sie zu lehren, was die Voraussetzungen für gelingende Kooperation sind. Erziehung hat die Aufgabe, dem Kind die »soziale Bedienungsanleitung« für einen optimalen Gebrauch seiner Motivationssysteme beizubringen. Nur Kinder, die gelernt haben, nach welchen Regeln Gemeinschaft funktioniert, können das sich daraus ergebende Glück erleben. Mit Kindern liebevolle Beziehungen zu gestalten bedeutet daher immer auch, ihnen Regeln vorzuleben und sie mit ihnen einzuüben. Die »soziale Bedienungsanleitung« der Motivationssysteme beinhaltet alle Komponenten, die bereits als Elemente einer »zwischenmenschlichen Beziehung« genannt wurden 20: den anderen sehen und beachten, gemeinsame Aufmerksamkeit teilen, gemeinsames Handeln einüben, emotionale Resonanz zeigen und sich um verstehende Empathie (Einfühlung) bemühen. Einfacher ausgedrückt: Es geht in der Erziehung darum, Kindern Rücksichtnahme und Toleranz zu lehren und vorzuleben und ihnen zu zeigen, dass dies Erfolgsstrategien sind, die zu intensivem Gemeinschaftsleben und Glück führen. Es ist evident, dass ein solcher Erziehungsprozess nicht allein über Anordnungen und Vorschriften gelingen kann. Vielmehr setzt Erziehung voraus, dass mit dem Kind vonseiten der Eltern, der Verwandten und der Pädagogen Beziehungen gestaltet werden. Erziehung muss dem Kind eingebettet in die mit ihm gelebte Beziehung klare Hinweise und Gebote vermitteln, welchen Beitrag das Kind zu leisten hat, damit Gemeinschaft und Kooperation funktionieren können. Dies muss altersentsprechend geschehen und bedarf keiner rabiaten Erziehungsmethoden. Kinder, die sich selbst, der Wohlstandsverwahrlosung oder täglich einem mehrstündigen Medienkonsum überlassen werden, können solche Regeln nicht lernen. Was Kinder bei Medien lernen, die Gewaltmodelle abbilden, sind »Regeln«, die ihnen den Eindruck vermitteln, dass Tabus beliebig gebrochen werden dürfen und Gewalt eine probate Methode ist, sich durchzusetzen. Das Ergebnis dieser Art von »Erziehung« können wir derzeit vielfach in Klassenzimmern und auf Schulhöfen sehen. Die in sich darwinistischen Handlungsprogramme von Gewaltvideos und Killerspielen enden für Kinder, die diese Angebote intensiv und über lange Zeit nutzen, »bestenfalls« in sozialer Inkompetenz und Arbeitslosigkeit, schlimmstenfalls im Strafvollzug. Dass im Übermaß konsumierte Medien jedenfalls, wenn es sich um Medien jener Machart handelt, wie sie Kinder derzeit angeboten bekommen Gewalt fördern und schulisches Versagen begünstigen, ist wissenschaftlich einwandfrei und vielfach belegt. 21 Vor dieser Entwicklung muss nicht nur die persönliche Erziehung seitens der Bezugspersonen bewahren, davor sollten unsere Kinder und Jugendlichen eigentlich durch die Gesellschaft als Ganzes geschützt werden. Ein solcher Schutz ist in Ländern, in denen der Darwinismus ein unausgesprochenes Staatsziel darstellt, natürlich nicht zu erwarten. Dort rangiert die Freiheit des maximalen Profits vor dem Gebot, ein »Minimum« 22 an Menschlichkeit zu bewahren. Bedenklich ist, dass wir uns vieles von dem, was sich in den heutigen Hochburgen des Darwinismus entwickelt hat und entwickelt, hier in unseren Ländern zum Vorbild genommen haben und nehmen.
Das natürliche Ziel von Motivation: Menschliche Zuwendung
Worauf die Motivationssysteme zielen, ist also Zuwendung
und die gelingende Beziehung zu anderen. Dies erklärt
die bekannte Tatsache, dass Menschen nach dem
Verlust wichtiger zwischenmenschlicher Bindungen oft
einen Einbruch ihrer Lebensmotivation erleben und von
Gefühlen der Sinnlosigkeit geplagt sind. Verlustereignisse
sind, wie Studien belegen, typische Auslöser von Depressionen
und anderen psychischen Krisen. Die Tatsache,
dass länger dauernde soziale Isolation oder der Verlust
wichtiger zwischenmenschlicher Bindungen zu einem
Absturz der Motivationssysteme führen können, macht
etwas Entscheidendes deutlich: Alle Ziele, die wir im Rahmen unseres normalen Alltags verfolgen, die Ausbildung oder den Beruf betreffend, finanzielle Ziele, Anschaffungen
etc., haben aus der Sicht unseres Gehirns ihren
tiefen, uns meist unbewussten »Sinn« dadurch, dass wir
damit letztlich auf zwischenmenschliche Beziehungen zielen,
das heißt, diese erwerben oder erhalten wollen. Das
Bemühen des Menschen, als Person gesehen zu werden,
steht noch über dem, was landläufig als Selbsterhaltungstrieb
bezeichnet wird. Nicht nur Personen, auch
Tiere, die gegen ihren Willen dauerhaft ausgegrenzt und
isoliert werden, verlieren alles Interesse am Leben, verweigern
die Nahrung, werden krank und sterben.23 Im
Gegensatz zu Erwachsenen, bei denen diese Zusammenhänge
manchmal kaum noch wahrgenommen werden, ist
die Abhängigkeit der Motivation von Bezugspersonen
bei Kindern und Jugendlichen noch relativ unverstellt
und daher leichter zu erkennen. Das Bemühen von Kindern
und der Erfolg ihres Tuns werden entscheidend dadurch
angestoßen und befördert, dass eine erwachsene
Person schlicht und einfach anwesend ist und sich ohne
dabei weiter aktiv zu werden für ihr Tun interessiert.24
Auch dort, wo unsere kleineren oder größeren Vorhaben
auf den ersten Blick keine zwischenmenschlichen
Aspekte zu haben scheinen, richten wir uns damit im
Grunde immer an andere, für uns bedeutsame Personen.
Mit neurobiologischen Studien lässt sich nicht nur demonstrieren,
wie der Entzug sozialer Kontakte die Motivationssysteme
hemmt. Sie zeigen auch das Gegenteil,
also wie die Motivationssysteme auf sozialen Kontakt
reagieren. Bereits bei niederen Säugetieren wie Ratten
oder Mäusen, deren prinzipieller Aufbau des Gehirns
dem unseren ob es uns gefällt oder nicht entspricht,
lässt sich beobachten, wie die Tiere eine erhebliche Motivation
entwickeln und einiges dafür tun, um herauszufinden,
wie sie aus einem Einzelkäfig in einen benachbarten,
für sie optisch einsehbaren oder durch Geruch wahrnehmbaren
Käfig gelangen können, in welchem sich Artgenossen
befinden. Falls der Zugang durch ein bestimmtes
Verhalten zum Beispiel durch Druck auf eine kleine
Leiste geöffnet werden kann, finden die Tiere, wie
schon erwähnt, dies rasch heraus und bedienen sich des
Mechanismus unverzüglich. Aus neurobiologischen Analysen
geht hervor, dass dieses Verhalten von einer Mobilisierung
des Motivationssystems begleitet wird und dass
es sich durch Gabe von Motivationshemmstoffen, zum
Beispiel Neuroleptika, unterdrücken lässt. Interessant ist,
dass es bereits bei der Wahrnehmung eines in Aussicht
stehenden sozialen »Objekts« zur Weckreaktion der motivierenden
Dopamin-Achse kommt, also bevor das Ziel
der Wünsche erreicht ist. Dieses »In-Aussicht-Stellen«
eines sozialen Kontaktes wird von den Emotionszentren
registriert und führt von hier aus zu einer unverzüglichen
Mobilisierung der Motivationssysteme, die wiederum
psychisches Begehren und körperliche Handlungsbereitschaft
auslösen, das heißt, sie setzen Lebewesen sowohl
im direkten als auch im übertragenen Sinne in Richtung
Artgenosse bzw. Mitmensch in Bewegung.
Die intensivste Form der Zuwendung: Liebe
Das meiste, was wir im Alltag tun, ist direkt oder indirekt
dadurch motiviert, dass wir wichtige Beziehungen
zu anderen Menschen gewinnen oder erhalten wollen.
Was für den normalen menschlichen Alltag typisch ist,
uns aber nichtsdestoweniger am Leben erhält, sind bekanntlich
die eher geringen, unspektakulären »Dosierungen
« sozialer Anerkennung oder Zuwendung. Diese
lassen sich allerdings in experimentellen Situationen
zum Beispiel in der Untersuchungsröhre eines Kernspintomographen,
der die Hirnaktivität während eines bestimmten
Moments misst nur schlecht nachstellen bzw.
simulieren. Um deutliche Signale der Hirnaktivität abzubilden,
wurden deshalb für die meisten Versuche stärkere
soziale Reize verwendet. Personen, die ihnen nahe
stehende, geliebte Menschen sehen oder hören, reagieren
mit einer überaus massiven Reaktion ihres Motivationssystems.
Der US -Neurobiologe Jeffrey Lorberbaum untersuchte
zum Beispiel mittels funktioneller Kernspintomographie,
welche Hirnareale aktiv werden, wenn Mütter, während
sie in der Untersuchungsröhre liegen, das Weinen oder
Schreien ihrer kleinen Kinder hören. Er beobachtete
ein starkes »Hochfahren« nicht nur des Motivationssystems 25, sondern auch der Zentren, die diesem System vorund
nachgeschaltet sind.26 Die gleiche neurobiologische
Reaktion stellt sich auch dann ein, wenn Mütter ihre
Kinder auf einem in der Untersuchungsröhre installierten
Bildschirm sehen können. Handelt es sich bei den wahrgenommenen
Kindern nicht um die eigenen, sondern um
fremde Kinder, kommt es ebenfalls zu einer Reaktion, die
Mobilisierung des Motivationszentrums fällt dann aber
schwächer aus.27 Beobachtungen dieser Art, wie sie im Falle des Menschen
mit der funktionellen Kernspintomographie gemacht wurden, passen perfekt zu Untersuchungen an
Tieren, bei denen sich die Aktivität des Motivationszentrums
biochemisch auf direktem Wege messen ließ.
Frances Champagne aus der kanadischen Arbeitsgruppe
von Michael Meaney konnte zeigen, dass das Ausmaß
mütterlicher Zuwendung direkt mit der Menge des
vom Motivationszentrum des Muttertiers ausgegebenen
Dopamins korreliert war. Mütterliche Tiere zogen den
Kontakt mit ihren Jungen selbst dann vor, wenn ihnen
als Alternative die auch bei Tieren sehr beliebte Droge
Kokain angeboten wurde. Verabreichte man den Tieren
allerdings ohne deren Zutun entweder einen Motivationshemmstoff
(ein Neuroleptikum) oder eine das Motivationssystem
ersatzbefriedigende Droge wie Kokain,
blieb das elterliche Fürsorgeverhalten aus die Motivationssysteme
hatten nach Kokaingabe aufgrund ihrer
Ersatzbefriedigung dann sozusagen schon das, was sie
wollten.
Besonders heftig reagieren die Motivationssysteme des
Menschen, wenn Liebe im Spiel ist, egal, ob es sich um
elterliche, kindliche oder sexuelle Liebe handelt. Eine
Reihe von Forschern, unter ihnen der New Yorker Neurobiologe
Arthur Aron und der inzwischen in Tübingen
arbeitende Andreas Bartels, interessierten sich für
die Rolle der Motivationssysteme bei der romantischen
Verliebtheit. Sie legten verliebte Probandinnen und Probanden
in die Kernspinröhre, ließen sie Bilder ihrer Liebespartner
betrachten und verglichen die im Gehirn hervorgerufenen
Signale mit den Signalen, die durch die
Betrachtung einer anderen Person hervorgerufen wurden.
Das Kernstück des Motivationssystems, also die
Dopamin-Achse 28, fühlte sich sofort angesprochen und
reagierte. Versuche dieser Art zeigen auch hier wieder,
dass bereits der Anblick, also das »In-Aussicht-Stellen«,
des begehrten Liebesobjekts die Motivationssysteme anspringen
lässt. Es muss jedoch, wie schon ausgeführt,
nicht immer Liebe sein.29 Jede Form von zwischenmenschlicher
Resonanz und erlebter Gemeinschaft scheint die
Motivationssysteme zu erfreuen.
Soziale Resonanz als neurobiologisches Motiv
Eine besondere Form sozialer Resonanz ist das gemeinsame
Lachen. Dean Mobbs und Allan Reiss aus Stanford
konnten zeigen, dass Witze, Humor und das damit verbundene
Lachen an eine Reaktion des Kernstücks der
Dopamin-Achse gekoppelt ist.30 Kein Wunder, denn gemeinsames Lachen verbindet. Allan Reiss beobachtete
dabei, dass Frauen auf Humor neurobiologisch stärker
reagieren als Männer.31 Daraus sollten keine voreiligen
Schlussfolgerungen gezogen werden, denn die neuerdings
so oft betonten neurobiologischen Geschlechtsunterschiede
sind bei genauer Betrachtung geringer, als oft behauptet
wird.32 Im Falle der Reaktion auf Humor mag
der Unterschied an dem Umstand liegen, dass Männer
möglicherweise mehr zu Stress neigen. Denn die von
Reiss durchgeführten Studien zeigen außerdem, dass Persönlichkeiten,
die emotional ausgeglichen und gegenüber
Stress besonders resistent sind 33, auf Humor mit einer
deutlich stärkeren Aktivierung ihres Dopamin-Motivationssystems
reagieren als andere. Auch Musik scheint
dem Motivationssystem zu gefallen. Neben einer Mobilisierung
verschiedener Emotionszentren beobachteten
Hirnforscher bei Probanden, die schöner Musik zuhörten,
eine ausgeprägte Reaktion des Dopamin-Systems.34
Dies ist deshalb interessant, weil Musik bekanntlich das
Phänomen der Resonanz allerdings in seiner physikalischen Dimension zur Grundlage hat. Dass wir uns als biologische Wesen von dieser Resonanz nicht nur berühren
lassen können, sondern auch unter dem Einfluss von
Musik, die wir als schön empfinden, untereinander die
psychologische Resonanz verstärken, ist ein bemerkenswertes,
ja geradezu magisch anmutendes Parallelphänomen
von Physik und Biologie. Musik ist vor allem verbunden
mit gemeinsamer Bewegung oder mit Tanz in
der Lage, kooperatives Verhalten in sozialen Gemeinschaften
zu verstärken. Diese Bedeutung der Musik
scheint auch der Körper zu empfinden. Es sind also nicht
nur Akte unmittelbarer zwischenmenschlicher Zuwendung,
die unser Motivationssystem anspringen lassen,
sondern neben dem Humor auch andere Resonanzphänomene
wie die Musik, welche mittelbar soziale
Verbundenheit herstellen und verstärken.
Spezialisiert auf Bindung und Vertrauen: Der Botenstoff Oxytozin
Bekanntschaften auch die von zahlreichen Säugetieren
unterscheiden sich durch ihre Haltbarkeit. Man kann
eine Bekanntschaft machen und sie kurz darauf wieder
vergessen. Anderer Bekanntschaften erinnert man sich,
ohne dass daraus eine Bindung wird. Schließlich gibt es
Begegnungen, die in eine länger dauernde Beziehung einmünden.
Dieser Unterschied existiert auch aus neurobiologischer
Sicht. Gewöhnlich geht mit positiver Verbundenheit
ein Gefühl einher, das wir Vertrauen nennen.
Über die eigene soziale Zugehörigkeit Bescheid zu wissen
und zu spüren, wem und in welchem Ausmaß man
durch Vertrauen verbunden ist, spielt in allen Varianten
des sozialen Umgangs eine zentrale Rolle, im alltäglichen
Umgang, in Partnerschaften und in der Beziehung zwischen Eltern und ihren Nachkommen. Auch Tiere können
zwischen ihnen unbekannten Tieren und solchen, die
ihnen bekannt sind, unterscheiden.35 Obwohl es sich um
unterschiedliche Formen sozialen Verbundenseins handelt,
hat das Wissen darüber, wen man kennt, wem man
vertraut und wem man im Rahmen einer stabilen Beziehung
verbunden ist, ein gemeinsames neurobiologisches
Korrelat. Die verschiedenen Spielarten des Sich-Kennens
werden durch einen beim Menschen und bei Säugetieren
vorhandenen körpereigenen Botenstoff möglich gemacht:
Oxytozin.36 Oxytozin ist interessanterweise sowohl Ursache
als auch Wirkung von Bindungserfahrungen: Es wird
einerseits verstärkt hergestellt, wenn es zu einer Vertrauen
stiftenden oder zu einer eine feste Bindung einleitenden
Begegnung kommt. Oxytozin hat andererseits aber
auch umgekehrt den Effekt, dass es Bindungen, die zu seiner
Ausschüttung geführt haben, rückwirkend stabilisiert,
indem es die Bereitschaft erhöht, Vertrauen zu schenken.
Beides wurde experimentell gezeigt. Der US -Forscher
Paul Zak konnte feststellen, dass Personen als Folge einer
geschäftlichen Transaktion, in der ihnen Vertrauen entgegengebracht
wurde, erhöhte Oxytozin-Werte aufweisen.37 Umgekehrt gelang einer Arbeitsgruppe um Ernst
Fehr von der Universität Zürich der Nachweis, dass Oxytozin
die Bereitschaft, anderen zu vertrauen, erhöht. Er
untersuchte das Verhalten von Probanden, die sich in
einer experimentellen Situation befanden, in der sie entscheiden
mussten, wie viel Geld sie einem Treuhänder anvertrauen
wollten. Probanden, denen zuvor Oxytozin
verabreicht worden war, vertrauten ihrem Verhandlungspartner
signifikant mehr Geld an.38 Da Oxytozin ein ausgeprägtes
Glücks- und Genusspotenzial hat, erfüllt auch
dieser Botenstoff ähnlich wie Dopamin die Voraussetzungen
eines Motivators: Bewusst oder unbewusst tendieren
wir dazu, unser Verhalten so zu organisieren, dass
es in uns zu einer Ausschüttung dieser Substanz kommen
möge. Auch Oxytozin leistet daher einen Beitrag dazu,
dass unser Gehirn, wann immer es möglich ist, Zuwendung
und Kooperation sucht.
Dopamin und Oxytozin bilden ein kooperierendes,
aufeinander abgestimmtes System: Die Motivationsdroge
Dopamin spielt für alles motivierte Tun eine zentrale
Rolle und damit auch für das Eingehen von dauerhaften
Bindungen. Wenn es jedoch darum geht, ein »soziales
Gedächtnis« auszubilden, also zu erinnern, wen man
kennt und wen nicht, erst recht aber, wenn es darum
geht, feste Bindungen einzugehen, dann reicht Dopamin allein nicht aus. Hierfür ist Oxytozin als zweiter, zusätzlicher
Botenstoff von unersetzlicher Bedeutung. Zusammengefasst
heißt dies: Die Dopamin-Achse des Motivationssystems
kann ihre Arbeit zwar unabhängig von
Oxytozin verrichten und dementsprechend für Basismotivation
sorgen. Um aber den Umstand, jemanden besser
zu kennen als andere, mit in die eigene Gesamtmotivation
einzubeziehen, bedarf es der zusätzlichen Mitwirkung
des Bindungshormons Oxytozin. Dieses Zusammenspiel
von Dopamin und Oxytozin im Gehirn ist auf
sehr elegante Art geregelt: Die Dopamin-Achse, das
Kernstück des Motivationssystems, erhält, wie schon beschrieben,
von den Emotionszentren des Gehirns 39 Informationen
darüber, ob in der Außenwelt Objekte vorhanden
sind, für die es sich lohnt, aktiv zu werden. Genau
dort aber, in den Emotionszentren, entfaltet Oxytozin
seine Wirkung, indem es an die hier reichlich vorhandenen
Oxytozin-Rezeptoren bindet. Zusätzlich kann sich
Oxytozin auch direkt an die Strukturen der Dopamin-
Achse anheften. Dies hat zur Folge, dass die Motivation
speziell gegenüber solchen anderen Individuen verstärkt
wird, mit denen positive soziale Erfahrungen gemacht.
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Leben mit und ohne Oxytozin der »Coolidge-Effekt«
Besonders hilfreich für die wissenschaftliche Aufklärung der Bedeutung von Oxytozin war eine Kuriosität aus der Tierwelt: Auf dem nordamerikanischen Kontinent leben zwei biologisch nahezu identische Varianten von Wühlmäusen, die sich nur in einem unterscheiden: Bei der einen Variante, den Bergwühlmäusen (im Englischen »mountain voles« genannt), ist die Motivation zur Paarung ungestört, die Partner gehen nach der Paarung jedoch getrennte Wege. Demgegenüber bleiben bei der anderen Variante, den Präriewühlmäusen (»prairie voles«), die Partner auch nach der Paarung langfristig zusammen. Damit hatte man eine von der Natur bereitgestellte, für die Untersuchung der neurobiologischen Aspekte von Bindung geradezu ideale experimentelle Situation. Was war der neurobiologische Unterschied zwischen den in der Prärie und den in den Bergen lebenden Tieren? Das Ergebnis war: Bei den Bergwühlmäusen ohne Bindungsverhalten fehlen im Gehirn die Empfängermoleküle bzw. Bindungsstellen für Oxytozin, die so genannten Oxytozin-Rezeptoren. Oxytozin kann daher keine Wirkung entfalten. Präriewühlmäuse dagegen hatten, was jeder Botenstoff braucht: einen zu ihm passenden Rezeptor, an den er andocken und seine Effekte wirksam werden lassen kann. Nur bei Vorhandensein eines Oxytozin- Rezeptors, wie es bei den Präriewühlmäusen der Fall ist, kann es zu einer psychobiologischen Wirkung von Oxytozin kommen, und diese Wirkung heißt: Motivation, Interesse und Lust an länger dauernder Partnerschaft. 40 Aus der Frage, wie lange Bindungen bestehen bleiben, sollte sich die Neurobiologie besser heraushalten. Oxytozin ist kein Garant für lebenslange Bindungen. Dieser Wunschvorstellung steht der so genannte »Coolidge-Effekt « entgegen: Calvin Coolidge, dreißigster Präsident der USA , besuchte mit seiner Frau einst eine Farm. Als man Mrs. Coolidge einen Hahn zeigte, der acht- bis zwölfmal täglich eine Henne besteigen konnte, soll sie ausgerufen haben: »Sagen Sie das mal meinem Mann!« Der Präsident hörte das und fragte: »Immer mit derselben Henne?!« Als man ihm erklärte, dass es jedes Mal eine andere Henne sei, entgegnete er: »Sagen Sie das mal meiner Frau!« Ungeachtet des »Coolidge-Effektes« gehören sowohl Dopamin als auch Oxytozin zu jenen Motivationsbotenstoffen, die den Menschen auf gelingende Beziehungen und Kooperation hin polen. Die Produktionsstätte von Oxytozin liegt abseits der Dopamin-Achse in einer Hirnstruktur namens Hypothalamus, die eine zentrale Rolle für die Regulation des inneren Körpermilieus spielt und im Körper die Konzentrationen verschiedener Hormone einstellt. Angeregt wird die Bildung von Oxytozin durch alle Formen freundlicher Interaktion, besonders aber durch Zärtlichkeiten: Streicheln oder sanftes Massieren der Haut, Stimulation der erogenen Zonen, Saugen an den Brüsten (sei es durch das Baby, sei es als erotische Handlung). Zu einer Steigerung der Oxytozin-Synthese kann es bereits dann kommen, wenn Personen auftauchen, von denen entsprechende Zärtlichkeiten erwartet oder erwünscht werden. Ähnlich wie beim Dopamin, so kann auch der Genuss von Musik die Oxytozin-Synthese befördern. Alles, was zwischenmenschliche Resonanz und soziale Verbundenheit erzeugt, scheint für die Bildung dieses Glücksbotenstoffes gut zu sein: Selbst das gemeinsame Singen, aber auch gemeinsames Lachen stimuliert die Oxytozin-Produktion. Zu einer besonders ausgeprägten Oxytozin-Freisetzung kommt es beim sexuellen Höhepunkt. Einen starken Reiz zur Bildung von Oxytozin stellt auch der Geburtsvorgang dar, wobei hier die mit der Geburt verbundene Dehnung des Geburtskanals eine wichtige Rolle spielt (Frauen, die mit Kaiserschnitt entbinden, zeigen im Verlauf der Geburt einen geringeren Anstieg der Oxytozin-Produkion). Aber auch unabhängig vom Geburtsakt selbst sorgt die Geburt eines Kindes für einen ausreichenden Oxytozin-Rausch, denn auch die Väter zeigen bei der Geburt ihrer Kinder einen Oxytozin- Anstieg. Liebeserfahrungen jeder Art aktivieren die Produktion dieser körpereigenen Wohlfühl- und Gesundheitsdroge. |
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Prof.Dr. Joachim Bauer
joachim.bauer@uniklinik-freiburg.de (0761) 270-6539
international call +49-761-270-6539
Website:
www.psychotherapie-prof-bauer.de/
Joachim Bauer ist Medizinprofessor und Psychotherapeut. Er ist sowohl für Innere Medizin als auch für Psychiatrie habilitiert. Für seine neurobiologischen Forschungsarbeiten erhielt er den renommierten Organon-Preis der Deutschen Gesellschaft für Biologische Psychiatrie. Bauer leitet an der Abteilung für Psychosomatische Medizin der Uniklinik Freiburg als Oberarzt die dortige Ambulanz. Bauer ist wissenschaftlicher Leiter des Münchner »Instituts für Gesundheit in pädagogischen Berufen«. |

"Prinzip Menschlichkeit" Bauer, Joachim
Hoffmann & Campe / 2006 / 255 S. / Gebunden
ISBN 978-3-455-50017-2 / CHF 34.90 |
Warum Bindungen gesund erhalten:
Oxytozin als Gesundheitsdroge
Dass uns Oxytozin an andere bindet, hat nicht nur mit
seinen Wohlfühleffekten zu tun. Oxytozin hat auch eine
Reihe von medizinischen Effekten: Dieses kleine Molekül
sorgt für körperliche und psychische Entspannung, senkt
den Blutdruck, dämpft die Angstzentren und vermag die
biologischen Stresssysteme zu beruhigen.
41 Da der Botenstoff, wie bereits angedeutet, auch dazu beiträgt, dass
sich andere Lebewesen, in deren Gegenwart gute Erfahrungen
gemacht werden konnten, in das emotionale Gedächtnis
einprägen, heißt dies: Personen, die durch ihre
Zuwendung, durch ihre Anerkennung oder Liebe unsere
Oxytozin-Produktion stimuliert haben, werden
zusammen
mit der Erinnerung an die mit ihnen erlebten guten
Gefühle in den Emotionszentren unseres Gehirns abgespeichert.
Dies passiert automatisch und ohne unsere bewusste
Kontrolle. Was sich hier abspielt, ist das neurobiologische
Substrat eines Phänomens, das wir im Alltag
als Vertrauen und in der Psychologie als Bindung bezeichnen.
42 Menschen, mit denen wir gute Erfahrungen
machen konnten, wirken deshalb auf uns wie ein Stimulus,
wie eine Art Verführungsreiz. Sobald sie entweder
real, in unserer Vorstellung oder in unserer Erinnerung
auftauchen, aktivieren sie unsere Motivationssysteme:
Sie rufen die Sehnsucht nach mehr hervor, wir fühlen uns
zu ihnen hingezogen oder halten uns zumindest gern in
ihrer Gegenwart auf. Weil wir auf Bindung geeicht sind,
sind wir bereit, für solche Menschen alles zu tun, ja,
uns für sie aufzuopfern. Zunehmend wird deutlich: Die
stärkste und beste Droge für den Menschen ist der andere
Mensch.
Die Rolle der Gene: Sind zwischenmenschliche
Bindungen »angeboren«?
Nichts wäre irriger als die Annahme, es gäbe eine genetische
Ausstattung, die eine Art Garantie dafür darstelle,
dass der Mensch sich im Hinblick auf seine Beziehungsund
Kooperationsfähigkeit gesund entwickelt. Die genetische
Ausstattung kann lediglich garantieren, dass die
neurobiologischen Werkzeuge dafür vorhanden sind. Entscheidend
für die Fähigkeit, genetisch bereitgestellte Systeme
auch einzusetzen, ist, ob sie vor allem in der Frühphase
des Lebens »eingespielt« und benutzt werden
konnten, und das heißt: ob Lebewesen in ihrer Umwelt
gute Erfahrungen mit anderen Individuen machen konnten.
43 Als Erwachsene können wir selbst daran mitwirken,
dass Kooperation gelingt. Als Neugeborene, als Kinder und eine Zeit lang auch noch als Jugendliche sind wir
jedoch darauf angewiesen, dass uns gute zwischenmenschliche
Erfahrungen geschenkt werden. Für das Funktionieren
und Instandhalten aller biologischen Systeme gilt ein
Satz aus der amerikanischen Hirnforschung, der lautet:
»Use it or lose it«, also »Benutze es (das, was die Gene bereitstellen),
oder du wirst es verlieren«. Für die Motivationssysteme
heißt dies:
Bleiben während Kindheit und
Jugend gute Beziehungserfahrungen aus, hat dies fatale
Folgen für die spätere Beziehungsfähigkeit der betroffenen
Individuen. Dies sind keine unbewiesenen Behauptungen,
sondern ließ sich in Studien belegen. Fehlende Zuwendung
in der Frühphase des Lebens beeinflusst nicht nur
die spätere Fähigkeit, soziale Verbundenheit zu erleben,
sondern hinterlässt bei den Motivationssystemen auch
biologische Spuren. Kelly Watts und Maggie Zellner
stellten im Rahmen von Tierversuchen fest, dass Neugeborene
im späteren Leben selbst dann eine deutliche
Funktionsstörung ihrer Motivationssysteme aufweisen,
wenn sie in der Zeit nach der Geburt nur vorübergehend
(ein bis zwei Wochen lang) von ihren Müttern getrennt
worden waren. Bei jungen Menschenaffen beobachtete
Douglas Kerr zusammen mit Kollegen eines Primatenzentrums
in Oregon, dass Affen, die im Alter von einer
Woche von ihren Müttern getrennt worden waren, im
späteren Leben ein beeinträchtigtes Sozialverhalten zeigten.
Anstatt, wie normal aufgewachsene Tiere, soziale
Anlehnung zu suchen, entwickelten diese Tiere ein erhöhtes
Maß an Aggression. Zu den durch Vernachlässigung
verursachten neurobiologischen Veränderungen scheint
auch die Tatsache zu zählen, dass die Motivationssys 54
teme auf Drogen stärker ansprechen: Eine Forschergruppe
der McGill University in Montreal fand heraus,
dass früh im Leben von ihren Müttern getrennte Tiere
heftiger auf Aufputschdrogen wie zum Beispiel Amphetamin
reagierten.
44
Von Geburt an auf Zuwendung eingestellt
Die neurobiologische Orientierung des Menschen besteht
vom ersten Lebenstag an. Mangelnde Zuwendung in der
Frühphase der Entwicklung eines Menschen beschädigt
die Motivationssysteme seines Körpers. Besonders eindrucksvoll,
aber auch berührend ist eine Untersuchung
an Kindern, welche die US -Wissenschaftler Alison Fries
und Seth Pollak durchführten. Sie untersuchten zusammen
mit einigen Kollegen Kinder im vierten Lebensjahr,
die eine sehr unterschiedliche Vorgeschichte hatten. Die
eine Hälfte der Vierjährigen war nach der Geburt aus
unterschiedlichen Gründen von ihren Eltern verlassen
oder getrennt worden. Diese Kinder hatten die ersten
etwa sechzehn Lebensmonate in Kinderheimen zubringen
müssen, in denen sie zwar ausreichend mit Nahrung
versorgt, sonst aber einem hohen Maß an psychischer
Vernachlässigung ausgesetzt worden waren. Kurz nach
Vollendung des ersten Lebensjahres waren sie aber durch
Adoptionseltern aufgenommen und von da an gut und
liebevoll versorgt worden. Bei der anderen Hälfte der
Vierjährigen handelte es sich um normal aufgewachsene
Kinder, die von Geburt an von ihren Eltern umsorgt
worden waren. Die Studie bestand darin, dass die Kinder
beider Gruppen, jeweils einzeln, zusammen mit der
jeweiligen Mutter bzw. Adoptivmutter in eine Spielsituation
versetzt wurden, wobei die Mütter dem Kind nebenher
Zärtlichkeiten zuteil werden ließen (beiläufiges
Streicheln und Ähnliches). Die von Geburt an bei ihren
Eltern aufgewachsenen Kinder zeigten im Verlauf der
Spielszene einen messbaren Oxytozin-Anstieg.
45 Bei den
Vierjährigen aus der Gruppe derjenigen Kinder hingegen,
die das erste Lebensjahr in Heimen verbracht hatten
und die nun in der gleichen Weise mit ihren Adoptivmüttern
spielten, kam es zu einem im Vergleich dazu
hochsignifikant verminderten Anstieg ihres Oxytozins,
obwohl ihnen die Adoptivmütter in gleicher Weise Zuwendung
und Zärtlichkeit hatten zuteil werden lassen.
Keine Frage: Die Fürsorge und Liebe, welche die Heimkinder
durch ihre Adoptiveltern erfahren konnten, war
für sie gleichsam lebensrettend, ohne Adoption hätten
sie auch dazu liegen zahlreiche Studien, allerdings von
anderen Arbeitsgruppen, vor weit verheerendere Folgeschäden
erlitten. Dennoch, die Untersuchung zeigt,
wie nachhaltig Erfahrungen von Lieblosigkeit und Vernachlässigung
im Körper auf längere Zeit abgespeichert
werden und welche Spuren sie in den Motivationssystemen
hinterlassen. »Gute Gene« sind daher alles andere
als eine Garantie für eine gesunde Entwicklung.
46 Gene
können ihre Funktion nur im engen Zusammenspiel mit
der Umwelt wahrnehmen.
Menschliche Zuwendung als Medikament:
Die körpereigenen Opioide
Dopamin, Oxytozin und endogene Opioide bilden einen
neurobiologischen, durch die Motivationssysteme des
Gehirns erzeugten Dreiklang. Dass Dopamin und Oxytozin
den Menschen in Richtung Beziehung und Kooperation
motivieren, wurde eingehend dargestellt. Doch
welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang die endogenen
Opioide? Sind sie lediglich unspezifische körpereigene
Wohlfühl-, Schmerz- und Beruhigungsmittel, oder
haben auch sie darüber hinausgehende, das zwischenmenschliche
Beziehungsgeschehen betreffende Funktionen?
Wichtige Untersuchungen zu dieser Frage stammen
von einer Arbeitsgruppe um den amerikanischen Neurobiologen
Jon-Kar Zubieta von der Ann Arbor University
in Michigan. Er entwickelte eine raffinierte Methode,
mit deren Hilfe er bei Menschen messen konnte, in
welchem Ausmaß endogene Opioide an ihre im Gehirn
befindlichen Empfängerstationen gebunden waren.
47 Bei der Untersuchung von Versuchspersonen zeigte sich,
dass die Beladung dieser Bindungsstellen mit endogenen
Opioiden unter normalen Bedingungen gering ist.
Wurde den menschlichen »Versuchskaninchen«, die dem
Versuch vorher natürlich freiwillig zugestimmt haben
mussten, ein anhaltender Schmerz zugefügt
48,
kam es
im Gehirn zu einem messbaren Anstieg der endogenen
Opioid-Ausschüttung, verbunden mit einer Zunahme der
Beladung ihrer Rezeptoren. Dies bedeutet: Der Körper
versucht sich mit Hilfe seiner körpereigenen Opioide gegen
den Schmerz zu schützen. Zubieta beobachtete nun,
was passierte, wenn ein Teil der unter Schmerzen stehenden
Probanden von einem Arzt betreut wurde, der ihnen
so wurde ihnen gesagt ein schmerzlinderndes Medikament
verabreichen würde. Tatsächlich handelte es sich
bei diesem »Medikament« dies wurde den Probanden
aber nicht mitgeteilt um ein Placebo, eine wässrige Lösung,
in der sich keinerlei Wirkstoff befand. Was sie also
tatsächlich erhielten, war lediglich die Zuwendung eines
Arztes, der versprochen hatte, ihnen zu helfen. Diese aber
zeigte eine erstaunliche Wirkung. Probanden, denen diese
»Behandlung« zuteil wurde, gaben nicht nur eine deutliche,
etwa fünfzigprozentige subjektive Besserung ihrer
Schmerzen an
49,
sondern zeigten auch eine signifikante
weitere Zunahme der Aktivität ihrer endogenen Opioide.
Pure zwischenmenschliche Zuwendung, verbunden mit
dem Versprechen, Hilfe zu leisten, hatte also das körpereigene
Opioid-System aktiviert und die Beschwerden der
Betroffenen subjektiv wahrnehmbar gebessert. Bei den
Probanden, denen man offen gesagt hatte, dass sie eine
unwirksame Wasserlösung bekommen würden, blieb die
Situation im Opioid-System dagegen unverändert, auch
eine subjektive Schmerzlinderung blieb aus. Beobachtungen
dieser Art sollten einer Medizin, in der die therapeutische
Beziehung zwischen Arzt und Patient zunehmend
gering geschätzt und außer Acht gelassen wird, zu denken
geben.
50
Neugeborene unter »Drogeneinfluss«:
Liebe als Beruhigungsmittel
Dass die zwischenmenschliche Beziehung eine hochwirksame
Medizin ist, gilt nicht nur für den Menschen, sondern
auch für andere Spezies der Säugetierfamilie. Die
pharmakologische Wirkung von Zuwendung ist nicht
nur bei Erwachsenen zu beobachten, sondern lässt sich
auch bei Neugeborenen
51 nachweisen, was bedeutet, dass
sie auch ohne Beteiligung des bewussten Denkens erfolgt
und weder unseres Willens noch irgendwelcher geistiger
Fähigkeiten bedarf. Ein sehr eleganter Nachweis gelang
dazu Anna Moles und Francesca D'Amato, zwei italienischen
Wissenschaftlerinnen eines Hirnforschungsinstituts
an der Universität Rom. Schon seit längerem ist bekannt,
dass neugeborene Nagetiere ein heftiges Fiepen
von sich geben, sobald die Mutter sich für etwas längere
Zeit vom Nest entfernt.
52 Ebenso weiß man seit längerem,
dass sich die Jungtiere sofort beruhigen, wenn sie
kleine Mengen von Opiaten erhalten, und zwar bereits
bei Minidosierungen, die nicht ausreichen würden, um
einen schmerzlindernden oder gar einschläfernden Effekt
zu erzielen. Dies war erstaunlich und ließ die Vermutung
entstehen, dass die anwesende Mutter einerseits und die
Gabe von Opiaten andererseits im Körper der Neugeborenen möglicherweise den gleichen Wirkmechanismus
ansprechen. Die Tatsache, dass Neugeborene in massive
Erregung geraten, wenn die Mutter abwesend ist, würde
dann quasi einer Situation entsprechen, die dem Entzug
einer Droge ähnelte.
53 Anna Moles und Francesca D'Amato fanden einen genialen
Weg, die Frage, ob elterliche Zuwendung ihre
Wirkung über das körpereigene Opioid-System der Neugeborenen
entfaltet, direkt zu klären. Sie veränderten
frisch befruchtete Eizellen von Mäusen mit gentechnischen
Mitteln so, dass bei den im Leib der Mutter heranwachsenden
Tieren das Gen für den Opioid-Rezeptor
lahm gelegt war. Die sich so entwickelnden Mäuse hatten
alles, was auch ganz normale Mäuse hatten nur
eben kein funktionierendes körpereigenes Opioid-System.
Die Überlegung der beiden Forscherinnen war nun:
Wenn die Annahme zuträfe, dass die Abwesenheit der
Mutter für normale Säuglinge tatsächlich einen Opioid-
Entzug bedeutet, dann sollten Säuglinge ohne körpereigenes
Opioid-System eigentlich davor bewahrt sein,
auf die Abwesenheit der Mutter mit großer Erregung zu
reagieren. Genau dies war der Fall. So konnten Moles
und D'Amato auf elegante Weise nachweisen, dass Zuwendung
nicht nur bei Erwachsenen, sondern auch bei
Säuglingen eine massive, beruhigende biologische Wirkung
hat. Die Schlussfolgerung aus diesem Versuch:
Das Opioid-Motivationssystem orientiert uns, ebenso
wie die beiden anderen Systeme, auf gelingende soziale
Beziehungen.
Wenn Beziehungen nicht gelingen: Angst,
Schmerz und die biologische Stressreaktion
Wer Menschen nachhaltig motivieren will, dies ist die unabweisbare
Konsequenz aus den dargestellten neurobiologischen
Daten, muss ihnen die Möglichkeit geben, mit
anderen zu kooperieren und Beziehungen zu gestalten.
Dies hat weit reichende Konsequenzen für die Arbeitswelt,
für das Führungsverhalten von Vorgesetzten und
Managern, für das Medizinsystem und für die Pädagogik.
54 Da sie mit der Ausschüttung der Glücksbotenstoffe
Dopamin, Oxytozin und Opioide einhergehen, sind gelingende
Beziehungen das unbewusste Ziel allen menschlichen
Bemühens. Ohne Beziehung gibt es keine dauerhafte
Motivation. Die von den Motivationssystemen
ausgeschütteten Botenstoffe »belohnen« uns nicht nur
mit subjektivem Wohlergehen, sondern wie bereits gezeigt
auch mit körperlicher und mentaler Gesundheit.
Dopamin sorgt für Konzentration und mentale Energie,
die wir zum Handeln benötigen. Besonders gesundheitsrelevant
ist jedoch das, was Oxytozin und die endogenen
Opioide leisten: Sie reduzieren Stress und Angst, indem
sie das Angstzentrum der Mandelkerne (Amygdala) und
Cortex, ACC ) beruhigen.
55 Belastete und belastende Beziehungen
führen nicht nur zu einem »Sinkflug« der Motivationssysteme.
Wenn die Ausschüttung von Oxytozin
und Opioiden ausbleibt, entfallen auch die erwähnten beruhigenden
Wirkungen auf das Angst- und das oberste
Emotionszentrum. Dies hat eine neurobiologische Erregungsreaktion
zur Folge. In Normalfall, also bei Beziehungskonflikten,
wie sie im Alltag laufend vorkommen, ist
diese Reaktion durchaus sinnvoll, denn sie veranlasst uns,
uns verstärkt um Kooperation und Normalisierung zu bemühen.
Dauerhaft gestörte Beziehungen oder der vollständige
Verlust tragender Bindungen können dagegen einen
»Absturz« der Motivationssysteme zur Folge haben. Der
Ausfall der beruhigenden Effekte auf die Emotionszentren
kann sich in einer solchen Situation massiv bemerkbar machen.
Über die Mandelkerne, die emotionalen Angstzentren
des Gehirns, kann es dann zu einer Hochschaltung
von Stressgenen und zur Ausschüttung von Alarmbotenstoffen
in tiefer gelegenen Hirnarealen kommen.
56 Abgesehen von der Möglichkeit massiver Aggressionsentwicklung,
ziehen Beziehungskrisen oder Verluste in der Regel
eine zweiphasige seelische Reaktion nach sich: Kurzfristig
setzt meistens ein Gefühl von Schmerz und Erregung
ein, das mit Angst, Panik, Trauer (oder Aggression) verbunden
sein kann. Langfristig das heißt, falls Beziehungsstörungen
chronisch anhalten oder falls ein Verlust
(noch) nicht verkraftet werden konnte kann es zu verschiedenen
Spielarten einer depressiven Störung kommen.
Diese Reaktionsketten laufen unabhängig von unserer
bewussten Kontrolle ab. Sie sind bereits bei Säuglingen
zu beobachten.
Einbruch der Motivation beim Verlust geliebter
Menschen
Die Folgen von Beziehungsstörungen oder Verlusten lassen
sich nicht nur psychisch wahrnehmen, sondern auch
neurobiologisch darstellen. Arif Najib von der Universität
Tübingen und der bereits an früherer Stelle erwähnte
Jeffrey Lorberbaum von der University of South Carolina
untersuchten mittels funktioneller Kernspintomographie
Personen, die von ihren Partnern verlassen worden waren.
Als Folge hatte sich bei den Probanden eine schwere
Trauerreaktion eingestellt. Die beiden Wissenschaftler
analysierten Veränderungen der Hirnaktivität, die bei
diesen Personen mit dem Gefühl des erlittenen Verlustes
verbunden waren. Es zeigte sich eine massive Minderaktivität
im Bereich der zentralen Achse des Motivationssystems.
57 Schmerz als Reaktion auf Beziehungskrisen
oder Verluste ist keine »Einbildung«.
58 Naomi Eisenberger
konnte, ebenfalls mit funktioneller Kernspintomographie,
nachweisen, dass Menschen, die in einer für sie
unverständlichen Weise von anderen aus der Gemeinschaft
ausgegrenzt und ausgeschlossen werden, nicht nur
psychologisch, sondern auch neurobiologisch mit einer
Mobilisierung des emotionalen Schmerzzentrums reagieren.
59 Das Gehirn scheint zwischen seelischem und körperlichem
Schmerz nur unscharf zu trennen. Untersuchungen
zufolge erleben Menschen, die sich allein gelassen
fühlen, körperliche Schmerzen stärker als Personen, denen
mitmenschliche Unterstützung zur Verfügung steht.
Auch hier zeigt sich, wie sehr wir neurobiologisch auf
Kooperation hin konstruiert sind.
Das Gedächtnis des Körpers: Langzeiteffekte von Einsamkeit
Frühe Erfahrungen von Einsamkeit oder Verlust können eine lebenslange Empfindlichkeit neurobiologischer Systeme zur Folge haben. Bekanntlich kann nicht jeder Verlust mit Trauer oder Schmerz, die »normale« Reaktionen darstellen, abgefangen werden. Mit heftigeren Reaktionen ist vor allem dann zu rechnen, wenn eine Person die Störung oder den Ausfall einer tragenden Verbindung als einen Absturz in völlige Hilflosigkeit erlebt. In solchen Situationen kommt es zu Angst, Panik und zu einer biologischen Stressreaktion. Belastungen im zwischenmenschlichen Kontakt haben neben einer Dämpfung der Motivationssysteme immer auch eine Aktivierung von Stressgenen zur Folge.
60 Manche Menschen können mit Verlusten besser umgehen als andere. Warum? Besonders Säuglinge und Kinder neigen in solchen Fällen zu Panik und biologischem Stress, da sie von sozialer Unterstützung weitaus abhängiger sind als Ältere. Aber auch manche Erwachsene reagieren außerordentlich stark, jedenfalls stärker, als andere Menschen dies in einer gleichartigen Situation tun würden. Wenn es nicht an der besonderen Schwere des Verlustereignisses liegt, kann dies dadurch bedingt sein, dass ein in frühen Jahren erlebter Mangel an Bindungen im späteren Leben der Betroffenen zu einem so genannten unsicheren Bindungsmuster geführt hat, was bedeutet, dass sich auf jedes befürchtete oder tatsächliche Problem in zwischenmenschlichen Beziehungen eine ungewöhnlich heftige neurobiologische Angst- und Stressreaktion einstellt. Der bereits an früherer Stelle erwähnte kanadische Hirnforscher Michael Meaney konnte zeigen, dass Neugeborene auf den Entzug von Zuwendung nicht nur akut mit der Cortison-Stressachse reagieren. Seine Untersuchungen belegen:
Frühe Erfahrungen von mangelnder Fürsorge hinterlassen eine Art biologischen Fingerabdruck, indem sie das Muster verändern, nach dem Gene in späterer Zeit auf Umweltreize reagieren.61 Diese Beobachtungen machen deutlich: Gene führen anders, als dies weithin erzählt und geglaubt wird kein autistisches Eigenleben, sondern kommunizieren mit der Außenwelt, auf deren Signale hin sie sich fortlaufend mit Veränderungen ihrer Aktivität einstellen. Besonders bedeutsam dabei ist, dass zu den Signalen, die an der Genregulation mitwirken, auch solche zählen, die sich aus Beziehungen mit anderen Menschen ergeben.
62 Beziehungskrisen und Verluste beeinflussen also nicht nur die Motivations-, sondern auch die Stresssysteme des Körpers.
Kurzfristige Aktivierungen der Stressantwort haben keine nachteiligen Folgen, im Gegenteil. Ohne Herausforderungen hätten wir keine Möglichkeit, uns vor uns selbst und unseren Mitmenschen zu bewähren, deren Anerkennung zu erhalten und auf diesem Wege unseren Motivationssystemen ein lohnendes Ziel zu bieten. Auch durch zwischenmenschliche Konflikte ausgelöster Stress muss nicht zu Beeinträchtigungen führen, vorausgesetzt, der Konflikt wird angesprochen, offen ausgetragen und bereinigt. Eine
ständige Hochschaltung der Stresssysteme ist dagegen aus neurobiologischer Sicht gefährlich. Eine solche Daueraktivierung kann durch anhaltende, den betroffenen Menschen überfordernde (Arbeits- oder andere) Belastungen hervorgerufen werden. Aber auch nicht lösbare Beziehungsschwierigkeiten können Dauerstress verursachen. Die erwähnten Untersuchungen Michael Meaneys zeigen: Personen, bei denen frühe Erfahrungen von fehlender Zuwendung und Bindung eine erhöhte Angst- und Stressbereitschaft erzeugt haben, geraten im Laufe ihres Lebens leichter in Überforderungsstress als andere. Dauerhaft erhöhte Konzentrationen der Stressbotenstoffe Glutamat und Cortison können Nervenzellen und ihre Netzwerke gefährden. Ein besonders eindrucksvoller Hinweis darauf, dass unser Gehirn auf gelingende Beziehungen und nicht auf Gewalt ausgerichtet ist, ergibt sich aus dem Nachweis einer markanten Schädigung wichtiger Nervenzellstrukturen als Folge einer durch andere Menschen erlittenen Traumatisierung.
63
Beziehungen als Gesundheitsschutz:
Einsamkeit als Krankheitsfaktor
Intakte soziale Netzwerke schützen die Gesundheit und
erhöhen die Lebenserwartung.
64 Ungewollte Einsamkeit
hingegen macht krank. Verschiedene Studien zeigen, dass
Einsamkeit nicht nur körperliche Erkrankungen begünstigt,
sondern auch die Lebenserwartung verkürzt. Einsamkeit
gehört zu den stärksten Einflussfaktoren, die im
Alter den Blutdruck und das Herzattackenrisiko ansteigen
lassen.
65 Die an der Universität von Chicago angesiedelte
Arbeitsgruppe um John Cacioppo konnte zeigen,
dass sich im Falle von Einsamkeit bereits bei jüngeren
Menschen Veränderungen einstellen, die das Risiko für
Blutdruckerkrankungen erhöhen.
66 Einsamkeit begünstigt
einen erhöhten Spiegel der Stresshormone Adrenalin
und Noradrenalin. Interessant ist, dass bereits eine unter
Hypnose suggerierte Einsamkeit physiologische Effekte
auszulösen vermag. Angesichts der Tatsache, dass kreislaufbedingte
Erkrankungen zu den häufigsten Todesursachen
gehören, ist ungewollte Einsamkeit ein ernst zu nehmender,
die Lebenserwartung verkürzender Umstand.
Wie die Psychosomatikerin Janine Kiecolt-Glaser bereits
1984 nachweisen konnte, führt Einsamkeit zur Aktivierung
eines Stresssystems, das auch bei Personen, die an
Depression leiden, aktiviert ist. Entsprechend überrascht
es nicht, dass sich als weitere Folge von chronischer Einsamkeit
auch erhöhte Raten depressiver Erkrankungen
zeigen.
67
Die Motive des Beziehungswesens Mensch:
Zuwendung und Kooperation
Die Argumente, die den Menschen aus biologischer Sicht
als Beziehungswesen ausweisen, beziehen sich auf drei
fundamentale biologische Kriterien: Zum einen sind die
Motivationssysteme des Gehirns in entscheidender Weise
auf Kooperation und Zuwendung ausgerichtet und stellen
unter andauernder sozialer Isolation ihren Dienst ein.
Zweitens führen schwere Störungen oder Verluste maßgeblicher
zwischenmenschlicher Beziehungen zu einer
Mobilmachung biologischer Stresssysteme. Aus beidem,
sowohl aus der Deaktivierung der Motivations- als auch
aus der Aktivierung der Stresssysteme, können sich gesundheitliche
Störungen ergeben. Dies macht deutlich,
dass Menschen nicht für eine Umwelt »gemacht« sind,
die durch Isolation oder ständige Konflikte gekennzeichnet
ist.
68 Ein drittes, bislang nicht erwähntes neurobiologisches Kriterium, das den Menschen als Beziehungswesen
kennzeichnet, ist das System der Spiegelnervenzellen
69:
Nicht nur der Mensch, auch eine Reihe von
Tierarten besitzt mit diesen Zellen ein neurobiologisches
System, das eine intuitive wechselseitige soziale Einstimmung
ermöglicht. Das System dieser besonderen Zellen
sorgt dafür, dass ein Individuum das, was es bei einem
anderen Individuum der gleichen Art wahrnimmt, im
eigenen Organismus im Sinne einer stillen inneren Simulation
nacherlebt (dies ist der Grund, warum wir
zum Beispiel Schmerz empfinden, wenn wir zusehen müssen,
wie sich eine andere Person heftig verletzt, oder warum
emotionale Stimmungen ansteckend sind). Dadurch
ergeben sich weit reichende bislang noch nicht in ganzer
Breite erforschte Möglichkeiten sozialer Resonanz. Im
Falle des Menschen ermöglichen Spiegelnervenzellen eine
besondere Form sozialer Verbundenheit: Mitgefühl, Empathie.
Bei den Spiegelzellen verhält es sich wie bei den
Motivationssystemen und den biologischen Stresssystemen:
Sie funktionieren nur dann, wenn Menschen in der
Prägungsphase ihres Lebens hinreichend gute Beziehungserfahrungen
machen konnten und wenn spätere Traumatisierungen
nicht zu einer psychischen und neurobiologischen
Beschädigung dieser Systeme geführt haben. Damit
lautet das Fazit dieses Kapitels:
Falls sich zu der genetischen
Ausstattung eines Menschen die notwendigen Umweltbedingungen
hinzugesellen, ist er ein aufgrund mehrerer
körpereigener Systeme in Richtung Kooperation und
»Menschlichkeit« ausgerichtetes Wesen.
18 Der Versuch des mittelalterlichen Stauferkaisers Friedrich, Kinder nach der Geburt ohne Ansprache zu lassen und ihnen außer der Grundversorgung nichts zu gewähren, endete bekanntlich mit deren Tod.
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19 Der neurobiologische Grundsatz »Benutze es, oder du wirst es verlieren « besagt, dass genetisch angelegte biologische Systeme Schaden erleiden oder untergehen, wenn sie nicht adäquat in Gebrauch genommen werden (siehe dazu auch Kapitel 2 und Kapitel 5 ).
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20 Siehe Kapitel 6.
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21 Siehe, neben zahlreichen weiteren Studien, die an hervorragender Stelle publizierte Studie von Johnson et al. ( 2002 ) sowie Anderson et al. ( 2003 ). Über deutsche Studien zum Zusammenhang zwischen Medienkonsum und Schulversagen informiert: www.kfn.de/forschungsprojekte.
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22 Im Sinne Frank Schirrmachers ( 2005 ).
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23 Bei Lebewesen, die Hunger haben, werden die Motivationssysteme
auch durch in Aussicht stehende Nahrung aktiviert. Dies macht biologisch
Sinn. Dass dauerhafte soziale Isolation beim Menschen und bei zahlreichen
Tieren den Willen zur Nahrungsaufnahme erlahmen lässt, zeigt die
vorrangige, übergeordnete Bedeutung der Gemeinschaft als Motivationsziel.
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24 Siehe zum Beispiel die Untersuchung von Manfred Holodynski
( 2006 ).
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25 Aktiviert war das ventrale Striatum, in dem, wie beschrieben, der
Nucleus accumbens liegt.
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26 Mit aktiviert waren unter anderem das vorgeschaltete Emotionszentrum
ACC (Anteriorer Cingulärer Cortex) sowie der nachgeschaltete
Thalamus, über den die Nervenbahnen zu den bewegungs- und handlungssteuernden
Arealen des Gehirns ziehen.
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27 Stärkere Zuwendung zwischen Familienmitgliedern sei dadurch bedingt,
dass Lebewesen den eigenen Genen einen Vorteil verschaffen wollten
so lautet eine völlig unbewiesene, nichtsdestoweniger überaus beliebte
Hypothese, die von der Soziobiologie, unter anderem von Richard Dawkins,
formuliert und mittlerweile in den Rang einer Ideologie erhoben wurde.
Mit den Ideen von Dawkins setzt sich das Kapitel 5 auseinander. Der
stärkere Zusammenhalt innerhalb von Familien ergibt sich vor allem über
das Oxytozin-System (dazu an anderer Stelle mehr).
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28 Beobachtet wurde eine Aktivierung der Basiskomponente ( VTA ) wie
auch des Bereiches um den Nucleus accumbens herum, also der vorderen
Komponente (des »Kopfstücks«).
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29 Felicitas Kranz und Alumit Ishai ( 2005 ) von der Universität Zürich
konnten an menschlichen Versuchspersonen nachweisen, dass bereits das
Sehen eines sympathischen Gesichtes auch dann, wenn mit der betreffenden
Person noch gar keine Bekanntschaft besteht den Nucleus accumbens
aktiviert.
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30 Siehe Übersichtsarbeit von Gregory Berns ( 2004 ). Jaak Panksepps Arbeitsgruppe
hat überzeugende Hinweise dafür gefunden, dass auch niedere
Säugetiere eine vom Menschen durch die Tonfrequenz deutlich unterschiedene
Form des Lachens kennen, die vor allem dann auftritt, wenn
jüngere Tiere miteinander spielen. Begleitend dazu kommt es auch hier zu
einer Aktivierung des Motivationssystems. Siehe dazu auch Burgdorf et al.
( 2005 ). Dass dem Spiel und der Freude im gesamten Tierreich eine zentrale,
von der Soziobiologie völlig ausgeblendete Rolle zukommt, beschrieb
jüngst auch der kanadische Verhaltensforscher Jonathan Balcombe ( 2006 ).
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31 Siehe Eiman Azim et al. ( 2005 ).
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32 Siehe dazu eine lesenswerte Untersuchung von Janet Shibley Hyde
( 2005 ).
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33 Dies waren Personen, die in einem Persönlichkeitstest besonders niedrige
Werte auf der Skala »Neurotizismus« hatten.
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34 Siehe Arbeiten von Steven Brown ( 2004 ), von Vinod Menon ( 2005 )
sowie von Anne Blood und Robert Zatorre ( 2001 ).
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35 Allerdings kommt es nur bei etwa 5 Prozent aller Säugetierarten, abgesehen
von Beziehungen zum Zwecke der Paarung und Beziehungen zwischen
Eltern und Nachwuchs, zu festen Paarbindungen.
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36 Entdeckt wurde Oxytozin einst aufgrund seiner Wirkungen im Rahmen
des Geburtsvorgangs: Das während der Geburt im Hypothalamus der
Frau gebildete Oxytozin sorgt neben seinen erst später entdeckten neurobiologischen
und psychischen Effekten dafür, dass die in der Brustdrüse.
Im Falle dieser von Fries und Pollak ( 2005 ) durchgeführten Untersuchung
wurde das Oxytozin im Urin der Kinder gemessen. Dabei wurden
die Messwerte vor und nach der etwa halbstündigen Spielsituation verglichen.
gebildete Milch in die Milchgänge der Brust gelangt. Saugt das Baby, führt
dieser Reiz wiederum zur Bildung von noch mehr Oxytozin. Ein weiterer
gynäkologischer Effekt des Oxytozins besteht darin, dass es die Gebärmutter
dazu bringt, sich nach der Geburt wieder zusammenzuziehen. Wegen
seiner Fähigkeit, die Gebärmutter zu Kontraktionen zu veranlassen, wird
Oxytozin, welches künstlich hergestellt werden kann, auch zur Einleitung
der Geburt verwandt was leider viel zu häufig und meistens ohne ausreichende
medizinische Begründung geschieht.
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37 Zak et al. ( 2005 ).
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38 Siehe Michael Kosfeld et al. ( 2005 ) sowie Kapitel 6 .
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39 Bei diesen handelt es sich, wie bereits an früherer Stelle erwähnt, um
den Anterioren Cingulären Cortex ACC , der das oberste Emotionszentrum
darstellt, sowie um die Mandelkerne (Amygdala).
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40 Siehe Larry Young und Zuoxin Wang ( 2004 ).
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41 Elliot Friedman ( 2005 ) publizierte kürzlich eine Studie, in der
nachgewiesen wurde, dass gute soziale Beziehungen die Schlafqualität
verbessern, die Konzentration eines Stress- und Alterungsbotenstoffes
(Interleukin- 6 ) senken und die Lebenserwartung erhöhen. Umgekehrt
stellte Janice Kiecolt-Glaser ( 2005 ) fest, dass zwischenmenschliche Konflikte
zu einem Anstieg der Interleukin- 6 -Werte führen, die Wundheilung
verzögern und die Wahrscheinlichkeit von Herzattacken signifikant erhöhen.
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42 Auch Tiere prägen sich ein, welches andere Tier sie »kennen«.
Wenn zwei Tiere das erste Mal zusammentreffen, beginnen sie ein ausführliches
Beschnupperungsritual, welches bei weiteren Treffen dann zugunsten
eines kurzen Schnuppergrußes entfällt. Tiere, bei denen man mittels
einer genetischen Manipulation das Oxytozinsystem ausgeschaltet
hat, können andere Tiere, denen sie bereits begegnet sind, nicht in Erinnerung
behalten. Bei jedem neuen Zusammentreffen verhalten sie sich
so, als wäre es die allererste Begegnung. Weibliche Tiere mit einem gentechnisch
ausgeschalteten Oxytozinsystem neigen, wenn sie Junge gebären,
außerdem dazu, ihre Nachkommen aufzufressen (Takayanagi et al.,
2005 ).
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43 Umwelterfahrungen wirken sich erwiesenermaßen auf die Aktivität
der Gene aus und haben Einfluss auf die Mikrostrukturen des Gehirns,
ein als »Neuroplastizität« bezeichnetes Phänomen. Eine Übersicht
dazu findet sich bei Joachim Bauer: Das Gedächtnis des Körpers
( 2004 ).
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44 Siehe Pomarenski et al. ( 2005 ). Bei den im Fall des Aufmerksamkeitsdefizit-
Hyperaktivitäts-Syndroms ADHS verordneten Medikamenten handelt
es sich um Abkömmlinge des Amphetamins.
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46 Siehe dazu auch Leon Eisenberg ( 2005 ).
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47 Jon-Kar Zubieta ( 2005 ) konzentrierte seine Untersuchungen dabei auf
den so genannten µ-Opioid-Rezeptor. An ihn bindet vor allem die Unter
gruppe der endogenen Opioide, die als Endorphine bezeichnet werden. Zubieta
führte seine Untersuchungen mit markierten Molekülen durch, die
an den µ-Opioid-Rezeptor andocken können. Je weniger die Rezeptoren
von außen zugeführte Moleküle binden konnten, desto stärker mussten sie
mit körpereigenen Opioiden besetzt sein. Die Beladung der Rezeptoren
maß er mittels der Positronen-Emissions-Tomographie ( PET ).
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48 Die Probanden bekamen, dies wurde vor dem Versuch mit ihnen
verabredet, eine Salzlösung in einen Muskel injiziert. Eine solche Injektion
führt zu deutlichen Schmerzen, hinterlässt aber keine bleibenden
Schäden.
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49 Zur Messung subjektiver Schmerzen wurde eine Skala benutzt, auf
der die Probanden die Schmerzintensität zwischen 1 (minimaler Schmerz)
und 10 (maximaler Schmerz) markieren konnten.
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50 Der Wissenschaftsjournalist Jörg Blech berichtet in seinem Buch
»Heillose Medizin« von einer Studie an Sportlern mit einem Kniegelenkschaden.
Kniespiegelungen (Arthroskopien), die ohne oder mit Spülung des
Kniegelenks durchgeführt wurden, hatten in beiden Fällen keinen besseren
Effekt als Scheinoperationen, die man den Sportlern als Arthroskopien ankündigte,
bei denen tatsächlich aber nur kleine Hautschnitte gesetzt worden
waren. Während Jörg Blech dabei den Akzent auf kostspielige, aber
nutzlose Untersuchungen in der Medizin setzt, sollte dies meines Erachtens
aber auch als Hinweis darauf gesehen werden, dass die ärztliche Zuwendung
eine in der Medizin unterschätzte und vernachlässigte Rolle spielt.
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51 Diesbezügliche Untersuchungen bei Neugeborenen wurden an Säugetieren
durchgeführt. Die Ergebnisse sind jedoch auf den Menschen übertragbar.
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52 Da sich das Fiepen (»ultrasonic vocalizations«) im Ultraschallbereich
abspielt, den Menschen nicht hören können, sind für entsprechende Untersuchungen
Messinstrumente notwendig.
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53 Dies erinnert nochmals an den bereits erwähnten Artikel von Thomas
Insel vom US -amerikanischen NIMH aus dem Jahre 2003 , den er mit dem
Titel überschrieben hatte: »Is social attachment an addictive disorder?«,
also: »Ist soziale Bindung eine Suchtkrankheit?«
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54 Siehe dazu Kapitel 7 .
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55 Oxytozin wirkt vor allem auf die Amygdala, die endogenen Opioide
wirken vor allen auf das oberste Emotionszentrum ACC (Anteriorer Cingulärer
Cortex).
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56 Bleibt bei schweren Krisen auf der Beziehungsebene die beruhigende
Wirkung von Oxytozin auf die Mandelkerne (Amygdala) aus, schütten
die Nervenzellen der Mandelkerne den erregenden Nervenbotenstoff
(Neurotransmitter) Glutamat aus. Dieser aktiviert dann zwei in den tieferen
Regionen des Gehirns gelegene Alarmzentren: Zum einen werden im
Hypothalamus Stressgene angeschaltet (mit der Folge, dass es im Körper
zu einer Erhöhung des Stresshormons Cortisol kommt). Zum anderen
aktiviert das von den Mandelkernneuronen ausgeschüttete Glutamat
Alarmzentren des Hirnstamms, wo es dann unter anderem zur Ausschüttung
von Noradrenalin kommen kann. Noradrenalin setzt das gesamte
»Panikorchester« des Körpers in Gang, einschließlich Herz, Kreislauf und
Psyche.
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57 Die Aktivitätsabnahme betraf das ventrale Striatum, in dem sich der
beschriebene Nucleus accumbens (das »Kopfstück« der Dopamin-Achse)
befindet.
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58 Ich verwende an dieser Stelle bewusst dieses Wort, weil viele Menschen,
leider auch viele Medizinerkollegen, seelisches Leiden und psychische
oder psychosomatische Symptome, für die sich scheinbar »kein Befund« erheben
lässt, in den Bereich der Einbildung verweisen. Diese Einschätzung
ist nicht nur bar jeder ärztlichen Kompetenz, sondern auch sachlich falsch.
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59 Siehe dazu auch Geoff MacDonald und Mark Leary ( 2005 ) sowie
Jaak Panksepp ( 2003, 2005 ).
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60 Siehe unter anderem Angelika Bierhaus et al. ( 2003 ).
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61 Eine durch erhöhte Reaktionsbereitschaft der Stressgene gekennzeichnete
biologische Konstellation findet sich bei Personen, die ein erhöhtes
Risiko, an Depression zu erkranken, in sich tragen. Was durch frühe
Erfahrung in der Säuglingszeit und Kindheit beeinflusst wird, ist nicht der
»Text«, also die DNA -Sequenz der Gene. Diese ist unveränderlich. Frühe
Erfahrungen können aber programmieren, wie stark ein Gen im späteren
Leben in bestimmten Umweltsituationen abgelesen wird. Siehe dazu Thie-
Yuang Zhang et al. ( 2004 ), Jonathan Seckl und Michael Meaney ( 2004 )
sowie Ian Weaver et al. ( 2004 ).
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62 Siehe Kapitel 5 .
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63 Eine wichtige Studie dazu stammt von einer deutschen Gruppe, siehe
Driessen et al. ( 2000 ). Weitere Arbeiten kommen aus der Gruppe um
Douglas Bremner: Vythilingam et al. ( 2002 ), Vermetten et al. ( 2006 ),
Kitayama et al. ( 2006 ), Übersichtsarbeit bei Bremner ( 2005 ).
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64 Siehe hierzu die bereits oben erwähnten Studien von John Cacioppo,
aber auch Arbeiten von Lynne Giles et al. ( 2005 ) und Mika Kivimäki et al.
( 2005 ).
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65 Hawkley et al. ( 2006 ), Nielsen et al. ( 2006 ).
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66 Diese Veränderungen bestehen in einer Erhöhung des peripheren Gefäßwiderstands,
die der Entwicklung von Bluthochdruck vorausgeht. Siehe
Cacioppo et al. ( 2002 ).
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67 Übersicht bei Ernst und Cacioppo ( 1999 ). Besonders fatal ist, dass im
Falle einer einmal eingetretenen Depression die Einsamkeit durch die Erkrankung
noch weiter verstärkt wird.
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68 An diese Stelle sei darauf hingewiesen, dass die ethisch sehr fragwürdigen
Experimente Stanley Milgrams aus den sechziger Jahren dieser
Aussage nicht widersprechen. Die Versuchspersonen in Milgrams Experimenten
waren aufgefordert worden, im Nebenraum sitzende andere Versuchspersonen,
die sie nicht sehen, wohl aber hören konnten, mit Elektroschocks
ansteigender Stärke immer dann zu bestrafen, wenn sie bei einer
Gedächtnisaufgabe (Erinnern von Wörtern) einen Fehler machten. Da alle
Probanden zögerten, die Schocks auszulösen, wurden sie von weiß bekittelten
Versuchsleitern, die direkt hinter ihnen standen, massiv bedrängt, die
Schocks zu verabreichen (»Das Experiment erfordert es, dass Sie weitermachen!
Sie haben jetzt keine andere Wahl!«). Milgram berichtet, dass diejenigen
Probanden, die diesen Aufforderungen folgten (es waren 63 Prozent),
fast alle selbst unter massiven Stress gerieten, einige dabei sogar einen Nervenzusammenbruch
erlitten (siehe Milgram, 1963 und 1965 ). Das Erschreckende
der Experimente Milgrams war, dass Menschen wenn auch
unter dem massiven Druck anderer überhaupt bereit waren, sich an solchen
Torturen zu beteiligen. Entgegen der landläufigen Meinung empfanden
die Versuchspersonen darauf wies Milgram in seinen Publikationen
ausdrücklich hin aber keinerlei Vergnügen. Wurde das Experiment so gestaltet,
dass hinter dem Probanden zwei Versuchsleiter standen, wobei der
eine zum Schock aufforderte, der andere aber widersprach, dann war keine
(!) der Versuchspersonen bereit, einen Elektroschock auszulösen.
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69 Siehe Joachim Bauer: »Warum ich fühle, was du fühlst. Intuitive
Kommunikation und das Geheimnis der Spiegelneurone« ( 2005 ).
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