ADHS Psychoanalytische und andere Perspektiven
Wohl kaum eine Debatte in der Geschichte der Kinderpsychiatrie wurde so heftig geführt wie die Kontroverse um Ursachen, Erklärungsmodelle und Behandlungsmöglichkeiten der sogenannten ADHS-Störung. Die deskriptive psychiatrische Diagnose AD(H)S und die medizinisch-physiologische
Annahme einer funktionellen Störung des dopaminergen Systems verbinden sich zu einem imaginären "Wissen", worum es sich bei AD(H)S handle. Infolge dieses biologistischen Denkens scheint die Frage nach der psychodynamischen Situation des Kindes, nach seinen Konflikten, Ängsten nachgeordnet zu sein. Nur wenige Psychoanalytiker haben sich in diese Debatte bislang eingebracht.
Die PSYCHE veröffentlicht im Juli 2008
ein Themenheft zu AD(H)S.
Darin enthalten sind:
1. Ergebnisse der Frankfurter Präventionsstudie von Autorinnen
um Marianne Leuzinger-Bohleber (Sigmund Freud Institut) zur
Genese, Prävention und Behandlung von Kindern mit einer
frühen Affektregulationsstörung. Zwei ausführliche
Fallbeispiele dienen als Plädoyer für eine psychoanalytische
Behandlung von sogenannten AD(H)S-Kindern, welche, so die
These der Autoren, eine nachhaltige psychische und psychosoziale
Veränderung bewirken kann.
2. die detailreiche Darstellung (Heidi Stauffenberg) einer
analytischen Langzeitbehandlung eines siebenjährigen
Jungen. Diskutiert wird die Entfaltung der zentralen innerpsychischen
Konfigurationen des Patienten im Verlauf des therapeutischen
Prozesses und der darüber hinaus stattgefundenen
Veränderungen.
3. die Diskussion der These, dass die zunehmende Verbreitung
der Diagnose AD(H)S und die damit verbundene psychopharmakologische
Behandlung die gesellschaftliche Perspektive auf Körper
und Psyche samt der damit verbundenen sozialen Kategorien
von Gesundheit, Generation und Geschlecht verändert.
Dass die betroffenen Kinder und Jugendlichen in diesem Diskurs
keine eigene Stimme haben, stellt nach Ansicht der Autoren
(Rolf Haubl, Katharina Liebsch) eine gravierende Forschungslücke
dar.
4. der Versuch, Hyperaktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörungen
im Kontext sich immer stärker beschleunigenderer Lebensverhältnisse
und der Reizüberflutung des Alltagslebens zu erklären
(Bernd Ahrbeck). Aufgrund einer unzureichenden Symbolisierungsfähigkeit
transformieren die betroffenen Kinder ihre inneren Spannungen
in Aktionen: Erregung ersetzt für sie Bedeutung, als
Schutz vor
psychisch nicht integrierbaren Ängsten und elementaren
Gefühlen der inneren Leere.
'Psyche' 62. Jahrgang - Heft
7 · Juli 2008
Klett-Cotta · Stuttgart
ADHS Psychoanalytische und andere Perspektiven
ISBN 978-3-608-97305-1
112 Seiten, broschiert
12,00 EUR
23,60 SFR
Quelle: http://www.psyche.de
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